Infos für Kolleg:innen

Infos für Kolleg:innen

In der Teamarbeit setzen wir auf das Vertrauen in die Fähigkeiten und die Belastbarkeit unserer Teammitglieder. Was aber, wenn plötzlich ein Teammitglied seine Leistungsfähigkeit nicht mehr aufrechterhalten kann, sich ungewöhnlich verhält und vielleicht sogar das Team aus dem Gleichgewicht bringt?

Menschen mit psychischen Erkrankungen verdienen weder heimliches Getuschel hinter ihrem Rücken noch Vorurteile. Stattdessen sind ein offener, respektvoller Umgang und Unterstützung gefragt. Dies fördert nicht nur die Genesung der betroffenen Person, sondern befähigt das gesamte Team, mit solchen herausfordernden Situationen umzugehen. Eine psychische Erkrankung in einem Team sollte daher nicht primär als Belastung betrachtet werden, sondern als Chance zur persönlichen und kollektiven Entwicklung.

Erkennen, dass die oder der Kolleg:in in einer Krise stecken könnte

Jede/r erlebt Krisen individuell und reagiert unterschiedlich. Deshalb sind dies nur Anhaltspunkte ohne Gewährleistung auf Vollständigkeit.

Arbeitsverhalten

Mein:e Kolleg:in

  • ist zunehmend unpünktlich.
  • braucht ständig Pausen, ist häufiger unkonzentriert und macht viele Fehler.
  • ist häufiger krank oder kommt sogar gar nicht, ohne sich zu melden.
  • schafft seit einer Weile sehr viel weniger als früher.
  • hält sehr häufig Zusagen und Verpflichtungen nicht ein.
  • ist deutlich unsicherer bei der Arbeit geworden:
    • fragt häufiger bei Dingen, die sie/er eigentlich gut kann
    • kontrolliert ihre/seine Ergebnisse mehrfach nach
    • vermeidet bestimmte Tätigkeiten, z. B. Telefonate oder Kundenkontakte.
  • zeigt sich auffällig schreckhaft, ängstlich.
  • mutet sich zuviel zu, verbringt zuviel Zeit am Arbeitsplatz.

Sozialverhalten

Mein:e Kolleg:in

  • verbringt die Pausen neuerdings fast immer allein und ich weiß nicht, warum.
  • nimmt nicht mehr an Betriebsausflügen, unserer Sportgruppe o. ä. teil.
  • hat häufiger mit mir, anderen Kolleg:innen und/oder Vorgesetzten Streit.
  • fühlt sich ganz schnell angegriffen.
  • ist mir oder anderen gegenüber sehr misstrauisch.
  • äußert sehr heftige Kritik und/oder Vorwürfe.
  • reagiert überzogen gereizt oder aggressiv. Er/sie reagiert unerwartet und nicht berechenbar.
  • ist oft in sich versunken, abwesend, start vor sich hin.
  • wirkt auf mich häufig traurig oder niedergeschlagen.
  • äußert realitätsferne Vorstellungen und Ansichten.
  • führt häufig Selbstgespräche.
  • wirkt wie unter Strom, hyperaktiv.

Übergreifende Beeinträchtigungen

Mein:e Kolleg:in

  • klagt über Schlaflosigkeit, Verschieben des Tag-Nacht-Rhythmus und Erschöpfung bei der Arbeit.
  • wirkt außergewöhnlich unruhig und extrem angespannt.
  • vernachlässigt Kleidung und Körperpflege.
  • zeigt Hinweise auf übermäßigen Alkohol- und Drogenkonsum.
  • isst kaum noch etwas isst/ständig etwas isst.

Unsicherheit ist normal!

Kann/darf/soll ich das Problem mit anderen Kolleg:innen besprechen? Oder sollte ich mich lieber an meine:n Chef:in wenden?
Als Kolleg:in kann es sinnvoll sein, etwas zu unternehmen, da die Situation auch für Sie unsicher und belastend sein kann. In so einer Situation ist es hilfreich, sich zu fragen, wie man selbst behandelt werden möchte.

Der Austausch mit einer/einem Kolleg:in zum Abgleich der eigenen Wahrnehmung kann ebenfalls helfen, sollte aber vertraulich und im Respekt vor der betroffenen Person auf keinen Fall in ein Tuscheln im Team ausarten. Ihre/Ihr Vorgesetze:r ist auch zu Ihrer Entlastung eine wichtige Ansprechperson für Sie. Sie/er kann im Rahmen ihrer/seiner Fürsorgepflicht ein Gespräch und entsprechende Handlungsmöglichkeiten einleiten.

Sie haben auch die Möglichkeit, andere vertrauenswürdige Stellen (z. B. Betriebsrat, Sozialdienst, ext. Beratungsstellen) zu Rate zu ziehen, um für sich einen guten Umgang mit der Situation zu finden.

Wie lange soll ich warten, bevor ich aktiv werde?
Überlegen Sie, was Sie in diesem Zusammenhang bewegt:

Ist es Ihre eigene Arbeitssituation, die Sie belastet – der/die Kolleg:in ist vielleicht nur ein zusätzlicher Aspekt? Dann werden Sie in eigener Sache aktiv und suchen Sie das Gespräch dazu mit der Führungskraft und anderen Stellen im Betrieb und außerhalb.

Ist es vor allem die Sorge um die/den Kolleg:in? Dann suchen Sie – wie hier beschrieben – einen geeigneten Weg, das mit der Person zu besprechen.

Wie hoch ist die Gefahr, dass ich die Person kränke? Was, wenn sie sich im schlimmsten Fall dann etwas antut?
Wenn Sie die weiter unten genannten Gesprächs– und Verhaltensegeln einhalten, haben Sie Ihr Möglichstes getan, um einen offen, wertschätzenden und empathischen Umgang zu finden.

Wenn im Gespräch suizidale Gedanken geäußert werden, nehmen Sie dies ernst. Dies kann ein Hilferuf sein. Wenden Sie sich an Ihre/n Vorgesetzte/n zur Absicherung und an die entsprechenden Notfalldienste Ihres Kreises (siehe unten). Machen Sie Ihr Vorgehen gegenüber Ihrer/m Gesprächspartner:in transparent (z. B. „Diese Situation überfordert mich, da möchte ich gerne Rücksprache halten.“).
Das Folgeverhalten liegt in der Verantwortung Ihres Gegenübers!

Wie hoch ist möglicherweise die Aggressions- oder sogar Gewaltbereitschaft bei der Person? Begebe ich mich selbst in Gefahr, wenn ich die Situation anspreche?
Dies ist ein weit verbreitetes Stigma/Vorurteil über psychische Erkrankungen. Es gibt keine Belege, dass Menschen mit einer psychischen Erkrankung häufiger Gewaltstraftaten begehen. Aggressionen gegenüber Gegenständen und Gewaltbereitschaft einem Menschen gegenüber sind zwei verschiedene Eskalationsstufen. Das Eine bedingt nicht unbedingt das Andere. Oft hilft es, dem Gegenüber zu spiegeln, was es in Ihnen auslöst, z. B. Angst, Sorge: „Ich fühle mich bedroht.“
Wenn Sie aggressives Verhalten wahrnehmen, wenden Sie sich gleich an Ihre/n Vorgesetzte:n.

Suchen Sie das Gespräch mit der/dem betroffenen Mitarbeitenden!

Es ist wichtig, einfühlsam und respektvoll auf eine:n Kolleg:in zuzugehen, die/der psychisch beeinträchtigt wirkt. Hier sind einige Stichpunkte, auf die Sie achten sollten, um das Gespräch richtig zu beginnen:

Do´s

  • Suchen Sie das „4-Augen-Gespräch“, aber geben Sie der/dem Betroffenen die Möglichkeit, sich auf ein Gespräch vorzubereiten und ihrerseits/seinerseits eine Vetrauensperson hinzuziehen:
    Berichten Sie von Ihren Beobachtungen, Ihren Gedanken und Ihrer Besorgnis, und auch von Ihren Unsicherheiten. Beachten Sie dabei, dass es Ihre subjektiven Beobachtungen und Gedanken sind und keine gesicherten “Wahrheiten“.
  • Senden Sie „Ich-Botschaften“:
    z. B. „Ich nehme wahr, dass …“
  • Betonen Sie, dass das Gespräch vertraulich ist:
    Respektieren Sie ihre/seine Privatsphäre und teilen Sie keine Informationen ohne Zustimmung.
    Finden Sie einen ruhigen, privaten Ort für das Gespräch.
    Stellen Sie sicher, dass niemand mithört oder stört.
  • Zeigen Sie Empathie:
    Fragen Sie vorsichtig, wie es ihr/ihm geht.
    Zeigen Sie Verständnis und Mitgefühl für ihre/seine Situation.
    Vermeiden Sie Vorurteile und Urteile.
  • Bieten Sie ein offenes Gespräch an:
    Signalisieren Sie, dass Sie bereit sind, zuzuhören.
    Ganz wichtig: primär zuhören und selbst eher wenig reden.
    Lassen Sie unterschiedliche Wahrnehmungen zu und versuchen Sie zu verstehen.
  • Bieten Sie konkrete Unterstützung an:
    Vermeiden Sie übermäßige Ratschläge, aber bieten Sie Ihre Hilfe an.
    Erkundigen Sie sich nach ihren/seinen Bedürfnissen und Wünschen.
    Klären Sie, wie Sie gemeinsam Lösungen finden können.
  • Zeigen Sie Ressourcen auf:
    Erwähnen Sie die Ihnen bekannten Unterstützungsmöglichkeiten. Bleiben Sie dabei in der üblichen Kolleg:innenrolle und sprechen Sie ganz normal mit Ihrem Gegenüber – vermeiden Sie „therapeutische Ratschläge“!

Don´ts

  • Erzwingen Sie kein Gespräch:
    Ihr/e Kolleg:in entscheidet, ob sie/er Interesse an einem Gespräch hat.
  • Seien Sie nicht auf die eigenen Lösungsvorstellungen fixiert:
    Jede:r hat ihre/seinen eigenen Blick auf eine Situation und entwickelt eigene Vorstellungen dazu, wie eine Lösung aussehen könnte. Dann passiert es häufig, dass man vehement für diesen Weg wirbt. Vom Gegenüber kann dies als starker Druck empfunden werden, diese Lösung zu akzeptieren. Deswegen ist es besser, sich und seine Ideen auch selbst zu hinterfragen. Offenheit für die Lösungsvorschläge der/des Betroffenen sind wichtig.
  • Werden Sie nicht ungeduldig:
    Betroffene brauchen Zeit, um sich auszudrücken.
  • Versuchen Sie nicht, die/den Betroffene:n zu therapieren:
    Sie sind als Kolleg:in in erster Linie Zuhörer:in und bei Bedarf auch Ratgeber:in, aber nicht Therapeut:in!
  • Nehmen Sie keine Bewertung vor und zwingen Sie nicht Ihre persönlichen Meinungen oder Ratschläge auf:
    Vermeiden Sie, die/den Kolleg:in als “psychisch krank” einzuordnen oder gar entsprechend anzusprechen. Es ist nicht Ihre Aufgabe oder die Aufgabe von anderen im Betrieb, Vermutungen über das Vorliegen psychischer Erkrankungen anzustellen oder gar Diagnosen zu stellen.
    Ihr/e Kolleg:in braucht Tipps, aber keine Bevormundung.
  • Geben Sie das Gesprächsziel nicht vor:
    Ihr:e Kolleg:in gibt vor, was sie/er vom Gespräch erwartet.
  • Vermeiden Sie die Ansprache von Fehlern:
    Um mit der/dem Kolleg:in ins Gespräch zu kommen, helfen Vorwürfe nicht weiter.

Fragen Sie nach einem Gespräch von Zeit zu Zeit wieder nach, wie es Ihrer/m Kolleg:in aktuell geht. Bieten Sie, wenn nötig und gewünscht, weiterhin Unterstützung an.

Denken Sie daran, dass es wichtig ist, die Kolleg:in nicht zu drängen, sondern ihr/ ihm Raum und Zeit für ihre/seine Gefühle und Gedanken zu geben. Ihr Ziel sollte darin bestehen, Unterstützung und Verständnis anzubieten … ohne Druck auszuüben.

Mögliche Gesprächseinstiege

  • „Ich habe in letzter Zeit den Eindruck, dass es dir nicht gut geht. Willst du darüber mit mir sprechen?“
  • „Ich sehe …“ (Auffälligkeiten schildern), z. B.: „Du bist so blass. Das kenne ich gar nicht von Dir.“, „Ich habe den Eindruck, seit einiger Zeit bist du schnell erschöpft und schnell genervt.“
  • „Seit einiger Zeit passieren Dir Flüchtigkeitsfehler – das ist neu!“
  • „Was ist los?“
    Falls die oder der Kolleg:in antwortet: „Nix, wieso?!“, ist das in Ordnung!
  • „Ich mache mir Sorgen und möchte dich unterstützen. Was könntest du gebrauchen?“
  • Falls die oder der Kolleg:in ein Gesprächsangebot ablehnt, das Signal geben: „Falls Du zu einem späteren Zeitpunkt sprechen willst: Ich bin jederzeit ansprechbar.“

Der/die Kolleg:in geht auf das Gesprächsangebot ein:

Entscheiden Sie gemeinsam, ob/welche anderen Stellen (auch externe) oder Personen (auch externe) einbezogen werden sollen und zeigen Sie, dass Sie weiterhin „ein offenes Ohr“ für den/die Kolleg:in haben.

Der/die Kolleg:in lehnt das Gesprächsangebot ab:

Verweisen Sie auf andere Gesprächspartner:innen: „Wenn dich Dinge belasten, die du mir mir nicht besprechen möchtest – was ich verstehen kann – kannst du dich z.B. auch an unsere Sozialberatung, Betriebsrat, Personalrat oder Schwerbehindertenvertretung etc. wenden.“ Verweisen Sie, sofern Ihnen bekannt, auch auf externe Hilfsangebote.

Hier finden Sie Hilfe vor Ort

Wenn sich jemand in einer akuten, potentiell lebensbedrohlichen Notlage befindet, wählen Sie immer direkt die 112!

Übersicht und Verfügbarkeit von sozialpsychiatrischen/ gemeindepsychiatrischen Wegweisern in kreisfreien Städten und Kreisen in Schleswig-Holstein